Re: technische frage zur akw katastrophe in fukushima
Auf Grund der Tatsache, dass es in den Medien derzeit um nichts anderes als um die Vorgänge in den Kernkraftwerken in Japan geht und gleichzeitig diese Berichterstattung voll von Fehlern, Halbwahrheiten und Unverständlichkeiten ist, sehe ich mich genötigt, ein wenig Licht und fachlich möglichst korrekte Informationen in den Wust von Informationsmüll zu bringen.
Überblick Gesamtanlage
In den havarierten Reaktorblöcken in Fukushima handelt es sich um Siedewasserreaktoren des Typs BWR3 im Containment MARK I von General Electric.
In einem Siedewasserreaktor wird das Kühlmittel Wasser im Reaktordruckbehälter auf etwa 250 °C bei einem Druck von etwa 7 MPa erhitzt.
Im Reaktordruckbehälter befinden sich Brennelemente, die (je nach Typ) aus etwa 15 x 15 bis 17 x 17 Brennstäben (Durchmesser um 10 mm) bestehen und mit kleinen aus angereichertem Kernbrennstoff gesinterten Pellets gefüllt sind.
Der Reaktordruckbehälter befindet sich in einem aus hochzugfestem Stahl bestehenden Containment, der als dichte und druckführende Umschließung im Fall von Leckagen die radioaktiven Materialien von der Atmosphäre fernhalten soll.
Das Containment ist von einer Stahlbetonhülle zum Schutz vor Einwirkungen von außen (EVA) umgeben. Im Falle des MARK I ist diese Hülle gleichzeitig Tragstruktur des Containments.
Vorkommnisse in Fukushima Daiichi
Durch das Erdbeben vor der Küste Japans wurden bereits wenige Sekunden nach dem Eintreffen der Stoßwellen im Kernkraftwerk alle Steuerstäbe durch hochverdichteten Stickstoff von unten in den Reaktordruckbehälter geschossen und der größte Teil der nuklearen Kettenreaktion gestoppt. Trotzdem zerfallen auch nach dem Eindringen der Steuerstäbe noch Atomkerne. Dies nennt man Nachzerfall. Er entsteht überwiegend durch den Zerfall von Spaltprodukten der Hauptreaktion und fällt mit guter Näherung beinahe exponentiell ab.
Nachfolgend habe ich euch die Nachzerfallsleistung exemplarisch des Blockes 2 KKW Fukushima Daiichi nach einer von mir unterstellten bisherigen Kernbetriebsdauer von 200 Tagen ab dem Zeitpunkt des vollständigen Einfahrens der Steuerstäbe in den Kern in Prozent der thermischen Reaktornennleistung (ca. 2352 MW) berechnet und in einem Diagramm dargestellt.
[Blockierte Grafik: http://www.abload.de/img/nachzerfall_block29nhu.jpg]
Das heißt, dass jetzt nach etwa 100 h oder 4 Tagen nach der Reaktorschnellabschaltung noch etwas weniger als 5,9 MW Leistung abgeführt werden müssen.
Sicherlich interessiert die meisten hier vorrangig die Explosionen der Reaktorgebäude.
Bei den Explosionen handelt es sich wie bereits durch die Medien kundgetan um Wasserstoffexplosionen. Irgendwas muss ja auch mal richtig sein.
Der Wasserstoff entsteht durch eine Reaktion des Metalles Zirkonium aus dem die Brennstabhüllrohre zu über 90 % bestehen. Die Legierung heißt Zirkalloy und wird verwendet, da sie erstens sehr günstige physikalische Eigenschaften wie hohe Zugfestigkeit, gute Wärmeleitfähigkeit und ausgezeichnete Korrosionsbeständigkeit aufweist. Zum Zweiten sind die neutronenphysikalischen Eigenschaften dieses Werkstoffes ebenfalls sehr günstig. Der sogenannte Wirkungsquerschnitt gibt vereinfacht gesagt an, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist Neutronen einzufangen die damit nicht mehr in der Lage sind, einen Kern zu spalten. Dieser Wirkungsquerschnitt ist bei Zirkonium sehr klein, um möglichst wenige Neutronen zu verlieren, die dann nicht mehr für die kontrollierte und erwünschte Kettenreaktion zur Verfügung stehen.
Der große Nachteil dieses Werkstoffes ist jedoch seine Eigenschaft bei hohen Temperaturen zu oxidieren also Sauerstoff zu binden. Kommt nun Wasser hinzu, so entzieht das Zirkonium diesem den Sauerstoff und der Wasserstoff bleibt einzeln.
Zr + 2 H2O <=> ZrO + 2 H2 (exotherm)
Diese Reaktion beginnt etwa bei 900 °C und da sie exotherm verläuft, trägt sie zu einem nicht unerheblichen Teil zur weiteren Temperaturerhöhung bei.
Zur Vermeidung einer oberhalb von 4,1 % Wasserstoff in Luft möglichen zündfähigen Knallgasmischung, werden in der Regel die Containments von Siedewasserreaktoren mit Stickstoff inertisiert.
In Fukushima war es nun so, dass sich durch die hohen Temperaturen im Kern bei gleichzeitiger Anwesenheit von Wasser bzw Wasserdampf ein beträchtlicher Anteil Wasserstoff gebildet hat.
Um den Reaktordruckbehälter mit Kühlmittel zu bespeisen, musste dieser druckentlastet werden. Dies geschieht normalerweise automatisch durch Druckentlastungsventile, notfalls jedoch auch von Hand. Der Druck entweicht dann in das Containment und dieses wiederum wird (im Gegensatz zu einem Volldruckcontainment beim Druckwasserreaktor) in die sogenannte Kondensationskammer druckentlastet. Die Kondensationskammer ist bei Siedewasserreaktoren meist als rund um das Containment führender druckfester Behälter ausgeführt und zu großem Teil mit Wasser gefüllt, um in dem zu entspannendem Volumen vorhandene Spaltstoffe möglichst zu binden.
In nachfolgendem Bild des MARK I-Containments in Fukushima ist dies der Bereich der mit "pressure supression chamber" bezeichnet ist.
[Blockierte Grafik: http://www.abload.de/img/schnittkp3c.jpg]
Quelle: General Electric
Ist auch in der Kondensationskammer ein gewisser Druck erreicht muss dieser abgebaut werden. Dies erfolgt durch Öffnen von Ventilen in das nicht druckfeste und nicht dichte Reaktorgebäude und von dort in die Umwelt.
Nein nicht durchdrehen. Erst weiterlesen.
Die bei der Druckentlastung des Containments nicht von der Wasservorlage zurückgehaltenen Spaltstoffe sind beinahe ausschließlich kurzlebige oder sehr kurzlebige Tochternuklide mit Halbwertzeiten im Sekunden-, Minuten- oder maximal Stundenbereich.
Das heißt, sie zerfallen in sehr sehr kurzer Zeit weiter, und bilden je nach Stoff und Isotop sehr bald stabile, das heißt nicht radioaktive Endprodukte. Im Wesentlichen sind dies 15N (T1/2 = 7,13 s) und radioaktive Edelgase wie 135Xe (T1/2 = 15,29 min) und 85Kr (T1/2 = 4,48 h).
In Fukushima wurde also diese große Menge Wasserstoff in das Reaktorgebäude abgelassen, welches sich direkt oberhalb des dickwandigen Betongebäudes mit dem Reaktor befindet. Es besteht aus einer dünnwandigen Stahlbaukonstruktion und dient ausschließlich dem Wetterschutz.
Nachfolgendes Foto zeigt die Stahlbaukonstruktion nach der Explosion.
[Blockierte Grafik: http://www.abload.de/img/gebude_block_25qte.jpg]
Quelle: Reuters
Im Reaktorgebäude entstand mit dem Luftsauerstoff eine erhebliche Menge Knallgas, welches irgendwann durchzündete und zur Explosion führte. Das darunterliegende Gebäude wurde in keinem der 3 Fälle durch diese Explosion beschädigt.
Ich mach für heute Schluss.
Morgen schreibe ich was zum Zustand der einzelnen Blöcke und zur radiologischen Situation vor Ort.
Außerdem versuche ich zu erklären, warum die Kühlung ausgefallen ist und stelle Bezüge zu deutschen Reaktoren her.
Dieser Bericht erhebt weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit.
Er gibt ausschließlich meine persönliche Meinung und mein eigenes bescheidenes und möglicherweise fehlerhaftes Verständnis wieder.
Prinz