Oder doch?
Inzwischen haben wir hier in Dresden ja schon einige teils verrückte oder wahnsinnige Ausfahrten unternommen.
Um uns die „größeren“ mal in Erinnerung zu rufen:
Die Vogtlandtour 2004 mit immerhin 450 am Stück gefahrenen Kilometern...
Die Ausfahrt an den Senftenberger See, die plötzlich an die Ostsee ging und nach 5 Tagen immerhin 1400 Kilometer auf den Tachos hinterließ...
Immerhin schon 5 Besuche des Wintertreffens der Motorradfahrer auf Schloß Augustusburg bei jedem erdenklichen Wetter, sei es Regen, Wind, Schnee oder Sonne, alles natürlich mit zwei Übernachtungen im Zelt...
Suhl hat uns auch schon mehr als einmal gesehen, immerhin 350 Anreisekilometer...
Das alles unter anderem mit mehreren S50, S51, SR50, Schwalben, alle nicht erwähnten mögen mir bitte verzeihen...
Tja, warum langweilt uns der Verfasser nun mit diesen Fakten?
Ganz einfach: Ich füge eine neue, verrückte Geschichte hinzu, na, wenn das mal nix dolles ist .
Und die wird natürlich ganz ausführlich, die Geschichte.
Inzwischen hat man ja doch einige schöne, originale oder interessante Fahrzeuge zusammengetragen. Das hindert natürlich niemanden daran, immer mal wieder die Fühler nach etwas neuem auszustrecken und wie der Zufall so will, entdeckte simmi-heizer an einem schönen Sonntag Abend einen Artikel in einem recht bekannten Internetauktionshaus, der für das Gebotene recht günstig zu haben war und auch „fast“ um die Ecke stand.
So schnell nicht wieder für den Preis -> „klick“
„Kein Problem, ich fahr mit dem Zug hin und auf eigener Achse wieder zurück, wofür hab ich Urlaub?“
Einen Tag nach der Ersteigerung des Artikels rief ich den Verkäufer an, um einen Übergabetermin zu vereinbaren, stellte noch einige Fragen und ging mit einem Kribbeln im Bauch ins Bett.
Am Dienstag gesellte sich zu einigen überflüssigen Zetteln in meiner Geldbörse auch eine Fahrkarte nach Dinslaken, dem Übergabeort des Artikels.
Das kribbeln im Bauch wurde stärker und alle Reisevorbereitungen wurden abgeschlossen, am frühen Morgen sollte es losgehen.
Noch kurz alles im Kopf durchgespielt: „Werkzeug, tragbare Unterkunft, Papiere? Alles da, ab ins Bett.“
Mittwoch früh, 5:55 Uhr, mein Zug setzt sich in Bewegung, seit 9 Jahren wieder mit dem ICE fahren, für mich zwar ein Erlebnis, aber nix im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte.
Lange Stunden und viermal umsteigen später bin ich pünktlich auf die Minute in Dinslaken und wie vereinbart ist auch der Verkäufer bereits eingetroffen. Noch 5 Stationen Bus und ich habe mein Ziel erreicht: Meinen neuen „Simson SD 50 EXPO“, besser bekannt als „Albatros“ oder Lastendreirad. Unerwartet aber erfreulich: Das Fahrzeug ist Baujahr 1999 und eine EXPO-Edition (wir erinnern und, da war doch 2000 was in Hannover...). Was daran so besonders oder außergewöhnlich sein soll, muß ich allerdings noch in Erfahrung bringen.
Nach einer Probefahrt werden noch einige Reparaturen und Überprüfungen durchgeführt (Bremsen, Licht, Ölstände, Luft, ...), der Papierkram erledigt und ganz wichtig, mein Navigationssystem montiert. Außerdem überlässt der Verkäufer sein nun nicht mehr benötigtes Gemisch, ab in den Tank.
Und schon geht die Reise los, insgesamt veranschlagt das Navi bis Dresden 629 Kilometer, allerdings mit einer Übernachtung bei meiner Tante, etwa 70 Kilometer ab Dinslaken.
Wie erwartet (oder erhofft?) erreiche ich am frühen Abend meine Tante, kann den Albatros in die Garage stellen (das erspart mir das Auspacken) und kann meine, leider auf den letzten Kilometern noch durch einen Wolkenbruch völlig durchtränkten Sachen ablegen. Klein aber gemein: Mein bisher wasserdicht verpacktes Navi bekommt einige Spritzer Regenwasser ab. Kurze Funktionsprobe, nix passiert, es funktioniert, NOCH!
Meine Tante verwöhnt mich mit frischem Zupfkuchen, viel schwarzem Tee, Milch und lässt auch sonst nichts unversucht, mich zu verwöhnen, Danke an dich, Tantchen . Ich schlafe anschliessend so gut wie lange nicht mehr, immerhin ist das Kribbeln im Bauch jetzt weg.
Am Morgen geht alles ganz fix, ich hab bis 10 Uhr geschlafen, eigentlich wollte ich längst rollen. Also alles zusammengerafft, mich bedankt, verabschiedet und nach einem Abschiedsfoto war ich weg.
Nun ging das Kilometerfressen los, immerhin fährt der Albatros auch an leichten Steigungen bis 5% knapp 50 Km/h, trotz Drosselung. Ich tanke das erste Mal und schieße die ersten Fotos von (m)einem Albatros in freier Wildbahn.
Nach etwa 50 Kilometern beginnt mein Navi plötzlich, Musik nur noch stockend auszugeben und der Touchscreen reagiert nicht auf meine Eingaben. Da das ganze auf Windows basiert, Reset und weiter geht’s. Denkste, schon nach wenigen Minuten ohne Zugluft und bei Sonneneinstrahlung bildet sich das erste sichtbare Kondenswasser zwischen dem Bildschirm und der Sensorfolie, damit ist das Navi nicht mehr zu bedienen, ich steh ohne Kartenmaterial irgendwo im Nirgendwo, garnicht gut. Ich folge also der Bundesstraße erst mal bis zur nächsten Tankstelle und werfe einen Blick in eine Karte, immerhin weiss ich so, daß die grobe Richtung stimmt.
Wiederrum etwa 50 Kilometer später taucht in einem schönen Flusstal ein gar nicht schönes Kraftwerk auf, fast so hoch wie die, das Tal einschließenden, Berge. Also anhalten, Schnappschuß und weiter.
„krack, krack, krack“
Je schneller ich fahre, desto schneller wird auch dieses, mit leichten Vibrationen verbundene Geräusch. Ein Ast? Oder eine schleifende Bremse? Ein kurzer Blick fördert keine Ursache ans Licht. Wieder angefahren.
„krack, krack, krack“
Mein Blick wird kritischer und genauer, bis ich schließlich beim durchdrehen der Kette mit Schrecken feststellen muss, dass eins der beiden Kettenschlösser angebrochen ist. Ausgerechnet hier, fernab jeglicher Fahrrad- und Motorradläden.
Schlecht! Ganz schlecht! Was tun?
Etwa 50 Meter neben der Straße liegt ein einsamer Bauernhof, ich klingle. Es öffnet ein Herr der älter als ich ist, aber noch nicht alt genug um mein Vater zu sein. Nachdem ich ihm mein Problem geschildert habe, sucht er in seiner Werkstatt nach einem Kettenschloss, findet auch eins, jedoch leider nur vom Fahrrad, zu klein, das Schwein.
Sein Vorschlag: Wir schweißen das alte Schloss, so kann ich wenigstens bis zum nächsten Ort fahren, dort gibt es einen Fahrrad- und Mopedladen. Das Schloss ist schnell ausgebaut, zum Glück ist nur die Seite gebrochen, in welche die beiden Stifte eingeschweißt sind, sonst hätte ich am Ende die Kette komplett in der Hand, wenigstens etwas. Der Herr beweisst seine Schweißkunst und nachdem die beiden Nähte versäubert sind, steht einer Weiterfahrt nichts im Weg. Sein Bekannter beschreibt mir noch den Weg zum Fahrradladen, ich bin wahnsinnig glücklich, bedanke mich mindestens 100 mal und mache mich auf den Weg, den Fahrradladen zu finden, allerdings durch den Gedanken im Hinterkopf mit stark verminderter Geschwindigkeit. Und warum auch einfach, wenn es schwieriger geht: Bis zu dem Ort sind es nur 4 Kilometer bei 22 % Steigung, erster Gang! Ich brauche eine gefühlte Ewigkeit und bin heilfroh, dass ich oben immer noch eine Kette am Stück habe. Die Suche nach dem Fahrradladen gestaltet sich schwierig und endet mit nix, ich finde trotz mehreren gefragten Passanten keinen Laden.
Tja, mir bleibt nix anderes übrig, als den Weg sachte fortzusetzen, es gibt keinen gesicherten Plan B und ich habe nur 4 Tage, nicht unbedingt Zeitdruck aber es ist noch hell, ich will die Zeit nutzen. An der örtlichen Tankstelle, die auch keinen Fahrradladen kennt, lasse ich mir wieder eine Karte zeigen und schleiche von dannen.
Es wird Abend.
Es wird Nacht und somit kalt, ich ziehe meine warme Motorradhose an und schlüpfe in die Thermoweste, schön kuschlig. Leider wird die Fahrt abgesehen von entgegenkommenden Autos Nachts immer so eintönig, die Zeit vergeht, ich tanke, lasse mir wieder eine Karte zeigen, warum haben alle Tankstellen nur kleine Stadtpläne und keinen Autoatlas?
Am Morgen erreiche ich Kassel, die erste Stadt seit Dortmund, deren geografische Lage ich halbwegs zuordnen kann. Nachdem ich mich durch ein falsch aufgestelltes Baustellenschild dreimal in eine Sackgasse schicken lasse, frage ich doch einen Bauarbeiter nach dem richtigen Weg und verlasse so Kassel, nicht, ohne vorher zu tanken und eine Packung Wiener Würste zu kaufen, mein Magen hat immerhin seit dem gestrigen Tag nichts mehr zu tun.
Mein Weg führt über Marburg, ich tanke und frage diesmal bei der Taxizentrale, immerhin erfahre ich so den Weg bis Eisenach, das klingt gar nicht schlecht. Am Bahnhof steht eine schöne, restaurierte Schwalbe, ich mache einfach ein Bild und setze meine Fahrt fort. Es ist inzwischen hell und kurz vor Eisenach ziehe ich meine warmen Sachen wieder aus, esse eine Wurst und: Ich tanke. Ab Eisenach ist neben dem Rennsteig auch Meinigen ausgeschildert, klingt gar nicht schlecht. Ich greife wieder auf mein beschränktes Schulwissen zurück und stelle fest: Das liegt in der Nähe von Suhl, nicht geplant aber ab dort kenne ich den Heimweg ohne ständiges nachfragen. Viele Kilometer später machen mich die Meininger Einbahnstraßen halb verrückt, die verwinkelten Straßen, der dichte Verkehr, mehrmals sehe ich die Richtungsschilder erst, während ich schon falsch abbiege.
Aber nichts ist unmöglich, ich nähere mich unaufhaltsam Suhl.
Dort angekommen, kommen die Erinnerungen vom letzten Treffen in Goldlauter wieder, der Kaufpark, die Total-Tankstelle und schließlich die Geburtsstätte aller guten Kleinkrafträder, Mokicks, Mopeds und Heiligtümer auf zwei Rädern: Das Simson-Werk in Suhl.
Nach dem obligatorischen Foto besuche ich noch den Laden im Hauptgebäude, wo ich einen kompletten Kettensatz für den Albatros kaufen möchte. Als ich das hintere Ritzel verlange, fragt der Verkäufer, ob ich ein Differential mit 6er oder 8ter Schrauben habe, hier gibt es zwei verschiedene Versionen „Aha, wieder was gelernt“ Ein Blick unter meinen Albatros offenbart zwei Dinge.
-mein Ritzel hat 6er Schrauben
-der Vorbesitzer hat ein Ritzel mit 8ter Löchern angepasst, indem er einfach 6er Löcher neben die originalen gebohrt hat, dadurch eiert das Ritzel auf der Welle und ich habe den Grund meiner stark schwankenden Kettenspannung unerwartet herausgefunden
Nachdem ich den letzten in Suhl hergestellten Sitzbankbezug meinem Einkauf hinzugefügt habe, verpacke ich alles und verlasse Suhl Richtung Illmenau. Noch ein Abschiedsfoto vorm Ortsschild und der Albatros kämpft sich aus dem Tal heraus.
Ab Illmenau fahre ich über Saalfeld auf der B85 Richtung Lobeda und muß beim Blick in die Karte an einer Tankstelle feststellen, dass die Richtung gar nicht so richtig passt, obwohl ich mir so sicher war, dass sie es tut.
Kehrt marsch, diesmal Richtung Gera, ab dort ist Zwickaus ausgeschildert, der Geruch der Heimat liegt in der Luft. Es dämmert, ich tanke in Werdau und erreiche an einer starken Gefällestrecke die höchste Geschwindigkeit der Reise, immerhin 75 Km/h laut Tacho.
Der Rest der Heimreise verläuft unspektakulär, auf der B 173 ist nix los, ich bin schon öfter auf diesem Abschnitt unterwegs gewesen und die Müdigkeit beginnt langsam, sich einen Kampf mit mir zu liefern, ich bin immerhin seit knapp 36 Stunden ununterbrochen unterwegs. Nachdem ich zwischen Oederan und Freiberg einen völligen Blackout hatte und mich folglich an nix erinnern kann, mache ich an der Esso-Tankstelle halt, (die uns immer mit Bockwürsten versorgt, wenn wir zum Wintertreffen fahren, lecker und nur 1,25 Euro)um mich durch körperliche Ertüchtigung wieder in Schwung zu bringen, ich will nicht 45 Kilometer vor Dresden noch mein Zelt aufbauen.
2:05 Uhr: Ich erreiche den Ortseingang Dresden, knipse wieder mein Bild und bin zugegeben glücklich, das ich endlich angekommen bin, ich will in mein Bett Durch die Stadt geht’s um die Zeit reibungslos, kein Verkehr und viele abgeschaltete Ampeln, kein Problem für das eingespielte Team „Albatros + Admini“
2:35 Uhr: Ich bin daheim, schließe den Albatros ab und falle nach dem Zähneputzen totmüde ins Bett, ich bin insgesamt 39 Stunden unterwegs gewesen, nur unterbrochen vom tanken, einkaufen, und nach dem Weg fragen.
Als ich am nächsten Mittag aufwache und mir mein Frühstück einverleibe, lasse ich die Fahrt noch einmal vor meinem geistigen Auge passieren und stelle fest:
- wir sind insgesamt 1140 Km gefahren, etwas mehr als geplant
- ich war 39 Stunden fast unentwegt unterwegs
- ich war 6 mal tanken
- das geschweißte Kettenschloss hat über 800 Kilometer gehalten
- ich bin heil und gesund, trotz meiner zuletzt übermäßigen und unvernünftigen Übermüdung, so müde, dass man es schon nicht mehr mitbekommt, weil man so schlagartig müde wird
und außerdem:
- ich war ungewollt in Suhl, cool
- die Scheibe am Albatros ist so hässlich wie praktisch, mein Moralretter in mancher Stunde, da man das Visier offen lassen kann ohne kalten Fahrtwind abzubekommen und auch der Regen nicht so schnell alles tränkt, solange man in Bewegung ist
- ich hab meinen eigenen, originalen Albatros, eines der wenigen Simsonfahrzeuge, dass ich noch nie genauer betrachten konnte, da es schlicht nirgends welche gibt
- ich habe 3 Kilo abgenommen
Das Fazit:
Ich hab was zu erzählen, bin glücklich, dass ich die Reise auf mich genommen habe und ihr seid am Ende meiner Ausführungen angekommen. Danke fürs hoffentlich angenehme lesen.
Admini
Ach, fast vergessen, was fürs Auge:
vorm Werk
[Blockierte Grafik: http://www.treff-dresden.de/Albatros/1.JPG]
Suhl Ortsausgang
[Blockierte Grafik: http://www.treff-dresden.de/Albatros/2.JPG]
bei meiner Tante in der Garage
[Blockierte Grafik: http://www.treff-dresden.de/Albatros/3.JPG]
Dortmund
[Blockierte Grafik: http://www.treff-dresden.de/Albatros/4.JPG]
das Kraftwerk im Tal
[Blockierte Grafik: http://www.treff-dresden.de/Albatros/5.JPG]
in Marburg, ne Schwalbe gefunden
[Blockierte Grafik: http://www.treff-dresden.de/Albatros/6.JPG]
Kassel, leider etwas unscharf
[Blockierte Grafik: http://www.treff-dresden.de/Albatros/7.JPG]
einer der 6 Tankhalte
[Blockierte Grafik: http://www.treff-dresden.de/Albatros/8.JPG]
Eisenach
[Blockierte Grafik: http://www.treff-dresden.de/Albatros/9.JPG]
Rennsteig
[Blockierte Grafik: http://www.treff-dresden.de/Albatros/10.JPG]